Wiener Gesundheitsverbund: Vergabemängel bei 48 von 66 überprüften Verfahren

01. Dezember 2023 – Beanstandungen gab es vor allem in Bezug auf die Dokumentation

Der Rechnungshof veröffentlichte heute den Bericht „Wiener Gesundheitsverbund – Vergabepraxis im Bereich Medizintechnik und Beratung“. Analysiert wurden Daten zu den Auftragsvergaben des Wiener Gesundheitsverbunds im Zeitraum 1. Jänner 2010 bis 31. März 2021. Die Bilanz: Beanstandungen gab es bei 48 von 66 überprüften Vergaben, vor allem in Bezug auf die Dokumentation. Bei den vom Rechnungshof geprüften Zukäufen von Beratungsleistungen wurde in keinem Fall vorab geprüft, ob diese von eigenen Bediensteten erbracht hätten werden können. Verbesserungsbedarf gab es beim Compliance-Management-System. Die Prüfung des Rechnungshofes erfolgte aufgrund eines Verlangens von Gemeinderätinnen und Gemeinderäten der Stadt Wien (ÖVP und Grüne).

Notwendige Transparenz nicht gewährleistet

Im Bereich Medizintechnik führte der Gesundheitsverbund insgesamt 1.456 Beschaffungen mit einer Vergabesumme von jeweils über 50.000 Euro durch. Kostenpunkt für diese 1.456 Beschaffungen: 484,70 Millionen Euro.

44-mal wurden Beratungsleistungen mit Kosten von jeweils über 190.000 Euro beschafft. Diese 44 Beschaffungen schlugen mit 145,44 Millionen Euro zu Buche. Diese Zahlen betreffen den Prüfzeitraum 1. Jänner 2010 bis 31. März 2021 – fest standen sie allerdings erst nach Bereinigung durch den Rechnungshof. Denn: Der Gesundheitsverbund hatte keinen vollständigen Überblick über die von ihm durchgeführten Vergabeverfahren im Bereich Medizintechnik und Beratungsleistungen. Die Datenlage gewährleistete nicht die notwendige Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Außerdem konnte der Gesundheitsverbund dem Rechnungshof auch für bis zu sieben Jahre zurückliegende Vergabefälle nur unvollständige, teils lückenhafte und fehlerbehaftete Daten übermitteln.

Einheitliche Vorgaben für Vergaben fehlten

Grundsätzlich ist die Aufbau- und Ablauforganisation des Gesundheitsverbunds dazu geeignet, Vergaben wirtschaftlich und zweckmäßig abzuwickeln. Der Rechnungshof stellte jedoch Mängel fest. Es fehlten etwa einheitliche Vorgaben für die Abwicklung von Vergabeverfahren. Auch war nicht klar vorgegeben, wie der geschätzte Auftragswert ermittelt und wie Angebote geprüft werden sollen. Die Folge: Vergabefälle wurden teils mangelhaft abgewickelt; Mängel gab es vor allem bei der Dokumentation.  

Vergaben im Bereich Medizintechnik

Im Bereich Medizintechnik wurden rund zwei Drittel aller Aufträge über 50.000 Euro ohne vorherige Bekanntmachung vergeben. Damit reduzierte der Gesundheits-​verbund den Bieterkreis und nahm mögliche wirtschaftliche und technologische Nachteile in Kauf. Die geringere Anzahl an Vergaben mit Vergabesummen von 100.000 Euro bis 109.999 Euro gegenüber Vergabesummen von 90.000 Euro bis 99.999 Euro könnte darauf hindeuten, dass der Gesundheitsverbund die Los-​aufteilung beziehungsweise Losgröße wählte, um die Schwelle für die Direktvergabe – diese liegt bei 100.000 Euro  – zu unterschreiten. Doch: Das Beschaffungsvolumen darf nicht aufgeteilt werden, um definierte Schwellenwerte zu unterschreiten und dadurch weniger transparente Vergabeverfahren anwenden zu können. In diesem Zusammenhang sah der Rechnungshof dringenden Handlungsbedarf, um eine mögliche Umgehung des Bundesvergabegesetzes zu verhindern.

Insgesamt stellte der Rechnungshof bei den Beschaffungen im Bereich Medizintechnik eine hohe Konzentration auf wenige Auftragnehmer fest. So vergab der Gesundheitsverbund an die jeweils zehn größten Auftragnehmer rund 52 Prozent des Auftragsvolumens beziehungsweise rund 37 Prozent der Aufträge und Rahmenvereinbarungen.

Missverständliche Ausschreibungsunterlagen

Aus dem Bereich Medizintechnik nahm der Rechnungshof 55 Vergabefälle genauer unter die Lupe. Mängel gab es bei 38 Vergaben. Die größten Probleme bereitete die Dokumentation: bei der Auftragswertermittlung, der Wahl des Vergabeverfahrens, der Angebotsöffnung und der Angebotsprüfung.

Beispielsweise waren in einem Fall die Ausschreibungsunterlagen missverständlich formuliert. Die Konsequenz: Vorgaben konnten von möglichen Bietern unterschiedlich interpretiert werden und sich auf ihr Kalkulationsverhalten auswirken. Einzelne Bieter konnten so benachteiligt werden. In einem anderen Fall wurde eine Rahmenvereinbarung für 129 Röntgengeräte geschlossen. Abgerufen wurden tatsächlich nur 16 Geräte. Der Kritikpunkt: Vergabeverfahren, die nicht den tatsächlichen Bedarf abdecken, können den Bieterkreis einschränken und den Wettbewerb beeinträchtigen.

Vergabeprozesse für Beratungsleistungen

Nach risikoorientierten Kriterien überprüfte der Rechnungshof elf Vergabeprozesse für Beratungsleistungen. In zehn Fällen stellte er Mängel fest. Bei den sechs überprüften Vergabefällen von Beratungsleistungen über 190.000 Euro wurden wesentliche vergaberechtliche Bestimmungen nicht eingehalten. Und: In keinem der vom Rechnungshof analysierten Vergabeverfahren wurde überprüft, ob die Leistung durch eigene Bedienstete hätte erbracht werden können.

Chief Compliance Officer soll weisungsfrei sein

Der Gesundheitsverbund begann erst im Jahr 2017 damit, ein Compliance-Management-System für den gesamten Gesundheitsverbund aufzubauen. Die bis 2021 eingeleiteten Maßnahmen bilden eine gute Ausgangsbasis für ein funktionierendes Compliance-Management-System. Führungskräfte wurden mit Compliance-Verantwortung betraut, eine Whistleblower-Plattform eingerichtet und ein Verhaltenskodex erlassen. Aber es zeigte sich weiterer Verbesserungsbedarf: Der Rechnungshof empfiehlt, den Chief Compliance Officer weisungsfrei zu stellen. Unabhängige Compliance-Beauftragte sind dezentral einzurichten. Und: Die Zuständigkeit für Compliance soll in die Stellenbeschreibungen der Führungskräfte aufgenommen werden.


Presseinformation: Wiener Gesundheitsverbund – Vergabepraxis im Bereich Medizintechnik und Beratung


pdf Datei: 
14,473.3 KB
Umfang: 
200 Seiten

Bericht: Wiener Gesundheitsverbund – Vergabepraxis im Bereich Medizintechnik und Beratung

Der Rechnungshof überprüfte von September 2021 bis Mai 2022 die Vergabepraxis des Wiener Gesundheitsverbunds in den Bereichen Medizintechnik und Beratungsleistungen sowie sein Compliance-Management-System. Die Gebarungsüberprüfung erfolgte gemäß Art. 127 Abs. 7 Bundes-Verfassungsgesetz aufgrund eines Verlangens gemäß § 73a Wiener Stadtverfassung der Mitglieder des Gemeinderats der Stadt Wien Dr. Markus Wölbitsch und Kolleginnen und Kollegen sowie David Ellensohn und Kolleginnen und Kollegen vom Juni 2021.

Bericht: Wiener Gesundheitsverbund – Vergabepraxis im Bereich Medizintechnik und Beratung Herunterladen