Rechnungshof mahnt nachhaltig wirksame Maßnahmen bei Gewalt- und Opferschutz für Frauen ein

25. August 2023 – Gewaltambulanzen sollen zeitnah und flächendeckend eingerichtet werden

In seinem heute veröffentlichten Bericht „Gewalt- und Opferschutz für Frauen“ zeigt der Rechnungshof Verbesserungsmöglichkeiten zum effektiveren Schutz für von Gewalt betroffene Frauen auf. Er würdigt, dass niederschwellige Beratung für Frauen über nahezu das gesamte Bundesgebiet angeboten wird. Auch die rund um die Uhr verfügbare Frauenhelpline gegen Gewalt wertet er beispielsweise positiv. Aber: Es gibt in Österreich keine langfristig angelegte, gesamthafte Strategie zum Schutz von Frauen vor Gewalt. Die Prüferinnen und Prüfer des Rechnungshofes empfehlen, Gewaltambulanzen einzurichten. Auch bei Gefährdungseinschätzungen sowie bei der Fortbildung von Richterinnen und Richtern gibt es Verbesserungsbedarf. Und: Einheitliche Kriterien für die Beurteilung von Hochrisikofällen und für die Abwicklung von Fallkonferenzen fehlen.

"Gewalt- und Opferschutz für Frauen erfordert Bewusstseinsbildung in der gesamten Gesellschaft sowie nachhaltig wirksame und koordinierte Maßnahmen aller Akteure in diesem Bereich", sagt Margit Kraker, Präsidentin des Rechnungshofes.

Überprüft wurden die Jahre 2018 bis einschließlich September 2022. Der rechtliche Rahmen, Einsatz der Ressourcen sowie die Aufteilung der Aufgaben zwischen Bund und Ländern waren unter anderem Gegenstand der Prüfung.

Langfristige, gesamthafte Strategie fehlt

In Österreich besteht keine langfristig angelegte, gesamthafte Strategie zum Schutz von Frauen vor Gewalt. Zuständig sind sowohl Bund als auch die Länder. Die Länder finanzieren die Frauenhäuser und fördern Einrichtungen zur Beratung von Frauen. Auf Bundesebene zählen das Innenministerium, das Justizministerium sowie das Bundeskanzleramt (BKA) zu den wesentlichen Akteuren. Die Sektion Frauen des BKA ist die bundesweit koordinierende Stelle für Maßnahmen zum Schutz von Frauen vor Gewalt. Sie verfügt jedoch weder über die rechtlichen noch über die finanziellen Ressourcen, um Maßnahmen durchzusetzen. Der Rechnungshof empfiehlt: Das BKA sollte gemeinsam mit den zuständigen Ministerien und den Ländern strategische Schwerpunkte zur Eindämmung von Gewalt gegen Frauen festlegen.

Sowohl das Regierungsprogramm 2020-2024 als auch das Gewaltschutzpaket 2021 zielen in erster Linie auf den Schutz von Frauen ab, wenn bereits konkrete Gefährdungen bestehen oder absehbar sind. Verstärkt sollen jedoch präventive, nachhaltig wirksame Maßnahmen in der gesellschaftlichen Bewusstseinsbildung gesetzt werden.

Unterstützung bei der Gefährdungseinschätzung für Exekutive

Bei Verdachtsfällen von Gewalt in der Privatsphäre müssen ersteinschreitende Exekutivbedienstete über unmittelbare Schutzmaßnahmen, wie etwa das Betretungs- und Annäherungsverbot entscheiden. Grundlagen dafür bilden die vor Ort gewonnenen Eindrücke aber auch Register-Abfragen zum Gefährder oder zur Gefährderin. Die Landespolizeidirektion Wien richtete im Jahr 2021 zur Unterstützung der Einschreitenden einen „Gewalt in der Privatsphäre“-Support ein. Ziel des rund um die Uhr verfügbaren Dienstes ist, mithilfe eines speziellen Tools Hochrisikofälle frühzeitig zu identifizieren. Im ersten Quartal 2022 wurde er in 1.172 Fällen verständigt. Er hatte 535 Gefährdungseinschätzungen mittels dieses Tools durchgeführt. Davon wiederum wurden zehn Prozent als Hochrisikofälle identi​fiziert. In anderen Bundesländern gab es keine vergleichbaren Unterstützungsstrukturen. Der Rechnungshof empfiehlt daher dem Innenministerium, sicherzustellen, dass ersteinschreitende Exekutivbedienstete bundesweit ähnlich unterstützt werden.

Sicherung von Gewaltspuren

Bei Verfahren wegen Gewalt im sozialen Nahraum ist eine möglichst tatzeitnahe und fundierte Beweissicherung besonders relevant, um Opferrechte zu gewährleisten. Nach Besprechungen in den Jahren 2019 bis 2022 kamen das Bundeskanzleramt sowie das Innen-, Justiz- und Sozialministerium überein, dass Bedarf an Gewaltambulanzen besteht. Rund um die Uhr verfügbare und flächendeckende Untersuchungsstellen wurden angestrebt. Der Rechnungshof beurteilt die Überlegung, Gewaltambulanzen einzurichten, im Hinblick auf eine effektive Strafverfolgung, Verfahrensbeschleunigung und den Opferschutz als positiv. Er empfiehlt, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die flächendeckende Einrichtung von Gewaltambulanzen zeitnah realisiert werden kann.

Fallkonferenzen: Einheitliche Kriterien bei Abwicklung fehlten

Seit Jänner 2020 können Sicherheitsbehörden bei Hochrisikofällen aus eigenem Ermessen oder auf Anregung von Gewaltschutzzentren oder Beratungsstellen sicherheitspolizeiliche Fallkonferenzen einrichten. Das Ziel: besondere Schutzmaßnahmen für gefährdete Personen gemeinsam mit den erforderlichen Behörden und Einrichtungen abzustimmen und zu entwickeln. Die Anzahl der sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen stieg bundesweit von 25 im Jahr 2020 auf 57 im Jahr 2021; von Jänner bis Oktober 2022 waren es 167. Der Rechnungshof sieht die Einführung der Fallkonferenzen positiv, zeigt aber auch hier Verbesserungspotenzial auf. Es fehlten einheitliche Kriterien für die Beurteilung von Hochrisikofällen und für die Abwicklung von Fallkonferenzen. Er hält außerdem kritisch fest, dass Staatsanwaltschaften trotz Einladungen durch die Sicherheitsbehörde kaum an sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen teilnahmen.

Und: Mitunter werden vorgeschlagene Fallkonferenzen nicht durchgeführt. Der Rechnungshof empfiehlt, die Gründe dafür regelmäßig zu evaluieren.
Sensibilisierung von Richterinnen und Richtern

Angehende Richterinnen, Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte müssen seit 2009 einen zweiwöchigen verpflichtenden Ausbildungsdienst bei einer Opferschutz- oder Fürsorgeeinrichtung absolvieren. Für jene, die sich nicht bereits im Zuge ihrer Ausbildung mit dem Thema Gewalt gegen Frauen auseinandergesetzt hatten, bestand keine Pflicht, diese Lücke zu einem späteren Zeitpunkt zu schließen. Das Wissen um Besonderheiten im Umgang mit traumatisierten, langjährig betroffenen und auch mental und sozial abhängigen Opfern ist besonders relevant. Der Rechnungshof hält kritisch fest, dass das umfassende Fortbildungsangebot des Justizministeriums die Wahrnehmung individuell notwendiger Schulungen nicht gewährleisten konnte. Er empfiehlt, nötigenfalls eine Fortbildungsverpflichtung für Richterinnen und Richter zu schaffen. In seiner Stellungnahme zeigte sich das Justizministerium dafür aufgeschlossen.

Datenlage stark verbesserungswürdig

Insgesamt gibt es Aufholbedarf bei der Datenlage im Bereich Gewalt- und Opferschutz für Frauen. Die zur Verfügung stehenden Daten sind für sich allein nicht aussagekräftig, um Erkenntnisse zu den Ursachen und der Tatgeschichte sowie für zielgerichtete präventive Maßnahmen ableiten zu können. Während die Polizeiliche Kriminalstatistik zwar grundsätzlich geeignet ist, um das offene Kriminalitätsgeschehen darzustellen, lagen im Justizbereich keine relevanten Daten zur spezifischen Gewalt gegen Frauen vor. Zudem führte das Bundeskriminalamt keine Dunkelfeldforschungen zu Gewalt in der Privatsphäre durch. Und: Obwohl ein Großteil der Verletzungen aufgrund häuslicher Gewalt in Spitalsambulanzen oder von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten behandelt wird, fehlten Daten aus diesem Bereich generell, weil standardisierte Diagnosedokumentationen nur bei stationären Aufnahmen in Krankenanstalten erfolgten.

Mangels Daten können auch die Gesamtausgaben von Bund und Ländern für den Bereich Gewalt- und Opferschutz nicht realistisch dargestellt werden.


Presseinformation: Gewalt- und Opferschutz für Frauen


pdf Datei: 
4,627.5 KB
Umfang: 
128 Seiten

Bericht: Gewalt- und Opferschutz für Frauen

Der Rechnungshof führte von Juli bis Oktober 2022 im Bundeskanzleramt, Sektion III „Frauenangelegenheiten und Gleichstellung“, im Bundesministerium für Inneres und im Bundesministerium für Justiz eine Gebarungsüberprüfung zum Thema Gewalt- und Opferschutz für Frauen durch. Prüfungsziel war es insbesondere, den rechtlichen Rahmen und die Organisation des Gewalt- und Opferschutzes in Österreich, die strategischen Ziele und Maßnahmen, die Aufgabenverteilung und Zusammenarbeit von Bundesministerien, Ländern und Opferschutzeinrichtungen, den Ressourceneinsatz, die Verfügbarkeit von Daten sowie die Erfahrungen mit dem im Jahr 2021 beschlos-senen Gewaltschutzpaket darzustellen bzw. zu beurteilen. Der überprüfte Zeitraum umfasste die Jahre 2018 bis inklusive September 2022.

Bericht: Gewalt- und Opferschutz für Frauen Herunterladen