Reform der Pflege in Österreich: Rechnungshof sieht Herausforderung bei Qualität und Finanzierung

14.02.2020 - Rechnungshof liefert umfassende, bundesweite Analyse zum Thema Pflege

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Mit seinem heute vorgelegten Bericht zur „Pflege in Österreich“ liefert der Rechnungshof Österreich eine umfassende, bundesweite Analyse zum Thema Pflege. Der Rechnungshof beurteilte Zweckmäßigkeit, Angebot und Kosten der Pflegedienstleistungen. Österreich ist auf die demografischen Veränderungen in Bezug auf Pflege nicht ausreichend vorbereitet. Der Rechnungshof Österreich vermisst den professionellen Umgang mit betriebswirtschaftlichen Kennzahlen durch Bund und Länder. Außerdem ist für Betroffene nicht klar, welches Leistungsniveau sie in Pflegeeinrichtungen erwarten können.

7,9 Milliarden Euro für Pflege im Jahr 2016

Bisher fehlte eine österreichweite vollständige Statistik, wie viel Pflege kostet. Die Prüfer und Prüferinnen des Rechnungshofes Österreich berechneten für das Jahr 2016 Gesamtkosten im Bereich Pflege in der Höhe von 7,9 Milliarden Euro für 452.688 Pflegebedürftige. Davon kamen rund 2,9 Milliarden Euro vom Bund und rund 2,1 Milliarden Euro von den Ländern und Gemeinden. 2,9 Milliarden Euro wurden privat abgedeckt. Dazu zählten Eigenbeiträge, aber auch die mit Geld bewerteten privaten Pflegedienstleistungen, etwa durch Angehörige.

Der größte Anteil von diesen 7,9 Milliarden Euro ist den Pflegeheimen zuzurechnen (3,4 Milliarden Euro), gefolgt von der Pflege durch Angehörige (3,1 Milliarden Euro), mobilen Diensten (0,7 Milliarden Euro) und der 24-Stunden-Betreuung. Diese schlägt mit 0,6 Milliarden Euro zu Buche. Der Rechnungshof Österreich kritisiert, dass die Kosten sowie Herkunft und Verwendung der Mittel nicht systematisch erfasst wurden. Er empfiehlt daher dem Sozialministerium und den Ländern, sicherzustellen, dass alle relevanten Daten erfasst werden.


Weniger pflegende Angehörige werden zur Verfügung stehen

Wie aus den oben dargelegten Zahlen ersichtlich ist, wird derzeit ein gutes Drittel der Pflege privat erbracht – meistens durch Angehörige im Alter von 50 bis 64 Jahren.

Im Jahr 2020 liegt das Verhältnis von Personen dieser Altersgruppe zu Personen ab 80 Jahren bei vier zu eins. Das heißt, eine Person über 80 kann potenziell auf vier pflegende Angehörige zählen. Bis zum Jahr 2060 wird sich dieses Verhältnis drastisch verändern. Eine Person über 80 Jahre wird dann nur mehr auf rund 1,6 potenziell Pflegende kommen. Zusätzlich könnten gesellschaftliche Entwicklungen, wie etwa eine höhere Frauenerwerbsquote, Auswirkungen auf die private Pflege haben. Der Rechnungshof Österreich weist darauf hin, dass das Pflegeangebot deutlich erweitert werden muss. Dazu wäre eine bundesweit abgestimmte Bedarfsprognose nötig. Eine solche zu erstellen, empfiehlt der Rechnungshof Österreich dem Sozialministerium, dem Finanzministerium und den Ländern. Abschließend wäre eine Gesamtstrategie zur Weiterentwicklung der Pflegedienstleistungen zu erarbeiten.

Unterschiede bei der Versorgung

Im Rechnungshofbericht werden die Unterschiede bei der Pflegeversorgung in Österreich deutlich. Während etwa im Bezirk Graz-Umgebung ein Pflegeheimplatz für rund drei Personen ab 80 Jahren zur Verfügung stand, gab es im Bezirk Krems- Land für rund 17 Personen dieser Altersgruppe nur einen Pflegeheimplatz. Eine große Bandbreite zeigt sich auch bei den Kosten: So wurden 2016 in Kärnten pro Tag für die stationäre Pflege 91 Euro verrechnet, in Wien hingegen 161 Euro. Ein Ausbau der Pflegeeinrichtungen auf Basis der Maximalwerte (Heimdichte je Bezirk und Kosten je Verrechnungstag) würde im Vergleich zu den Minimalwerten zu Mehrkosten in der Höhe von 3,5 Milliarden Euro führen. Diese Berechnung gilt für das Jahr 2030.

Österreichweite Vorgaben, wie Heimtarife und Personalausstattung zu gestalten sind, fehlen. Außerdem gibt es keine österreichweit gültigen Qualitätsstandards für Pflegeheime, etwa was die Fachpflege, die Lebensqualität sowie die ärztliche und soziale Betreuung betrifft. Derzeit ist nicht klar, welches konkrete Leistungsniveau in welchen Pflegeeinrichtungen tatsächlich erwartet werden kann. Wie unterschiedlich die Standards in den Ländern sind, zeigt der Rechnungshof Österreich u.a. am Beispiel Ernährung. So ist nur in Wien und in Salzburg ein Recht auf Unterstützung bei der Nahrungsaufnahme im Gesetz festgeschrieben. 

Die Kosten für die Nahrungsmittel waren in fünf Ländern bekannt: Sie lagen für 2017 zwischen 3,56 Euro und 5,98 Euro pro Heimbewohnerin bzw. Heimbewohner und Verrechnungstag. Rechtliche Vorgaben für Ernährung sind – mit Ausnahme in Wien – größtenteils allgemein gehalten. Somit besteht keine Transparenz über die Pflegequalität in den Einrichtungen.

Wie oft Heime kontrolliert werden, ist ebenfalls von Land zu Land unterschiedlich. Die Aufsichtsintervalle reichen von zwei Mal pro Jahr bis hin zu einem Fünf-Jahres- Rhythmus. Aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner scheinen regelmäßige, unabhängige und – wenn erforderlich – unangemeldete Überprüfungen aller Pflegeheime mindestens einmal im Jahr empfehlenswert.

Bund und Länder agieren unkoordiniert

Sowohl Bund als auch Länder sind maßgebliche Akteure im Bereich der Pflege. Während etwa der Bund das Pflegegeld regelt, normieren die Länder die Sachleistungen. Der Rechnungshof Österreich stellt kritisch fest, dass Bund und Länder bisher nur eingeschränkt koordiniert vorgingen. Beide nahmen einseitig immer wieder wesentliche Veränderungen vor. Zuletzt wurde etwa der Pflegeregress durch den Nationalrat mit 1. Jänner 2018 abgeschafft, ohne Übergangsregelungen für die Länder zu erlassen, die für den Vollzug zuständig waren. Insgesamt ist die Verantwortung für die Finanzierung zwischen Bund und Ländern unklar aufgeteilt. Ein nachhaltiges Finanzierungssystem wäre zu entwickeln, um die bestehenden Schwächen zu beseitigen. Der Rechnungshof fordert eine koordinierte Gesamtsteuerung und die Berücksichtigung der Schnittstellen von Gesundheit und Pflege.

Presseinformation vom 14.2.2020 zum Bericht Pflege in Österreich


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160 Seiten

Bericht: Pflege in Österreich

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