Wohnrechtliche Schlichtungsstellen sind in Österreich nicht flächendeckend vorhanden

22.07.2022 – Komplexität wohnrechtlicher Bestimmungen kritisch hinterfragen

Wohnrechtliche Schlichtungsstellen sind niederschwellige und bürgernahe Rechtsschutzeinrichtungen. Ihre Aufgabe: Streitigkeiten in wohnrechtlichen Angelegenheiten außergerichtlich zu behandeln und nach Möglichkeit einen Vergleich zwischen den Parteien herzustellen. Zugleich sollen sie die Gerichte entlasten. In seinem heute vorgelegten Bericht „Wohnrechtliche Schlichtungsstellen mit Schwerpunkt in Innsbruck und Salzburg“ zeigt der Rechnungshof Reformbedarf auf. So wäre zu bewerten, in welchen Gemeinden solche Schlichtungsstellen benötigt werden. Und: Die Dauer der Verfahren wäre zu verkürzen. Insgesamt ist die Anzahl dieser Stellen seit ihrer Errichtung vor rund 100 Jahren stark zurückgegangen. Im Mai 2021 standen den Bürgerinnen und Bürgern österreichweit zehn wohnrechtliche Schlichtungsstellen zur Verfügung.

Zudem empfiehlt der Rechnungshof dem Justizministerium, dem Regierungsprogramm 2020–2024 folgend, eine Initiative zur vorgesehenen Wohnrechtsreform zu setzen. Die Komplexität wohnrechtlicher Bestimmungen wäre kritisch zu hinterfragen. Geprüft wurde der Zeitraum 2015 bis 2020.

Geringeres finanzielles Risiko für Bürgerinnen und Bürger

In seinem Bericht betont der Rechnungshof die Vorteile von leicht zugänglichen Rechtsschutzeinrichtungen in wohnrechtlichen Angelegenheiten, besonders für Bürgerinnen und Bürger mit geringem Einkommen: Zum einen aufgrund des deutlich niedrigeren Kostenaufwands eines Verfahrens in einer Schlichtungsstelle im Vergleich zu einem Gerichtsverfahren. Zum anderen wegen des geringeren finanziellen Risikos eines Schlichtungsstellenverfahrens. 1923 verfügten 88 Gemeinden über derartige Entscheidungskompetenzen. Im Mai 2021 bestanden noch in zehn Gemeinden wohnrechtliche Schlichtungsstellen. Sie waren in unterschiedlich großen Gemeinden eingerichtet.

Sechs der zunächst noch elf Gemeinden mit Schlichtungsstellen wiesen österreichweit auch den höchsten Wohnungsbestand auf, nämlich Graz, Innsbruck, Klagenfurt, Linz, Salzburg und Wien. Weitere vier Schlichtungsstellen waren in Gemeinden mit einem Wohnungsbestand von rund 7.000 bis rund 32.000 Wohnungen eingerichtet, davon zwei Schlichtungsstellen in Gemeinden mit weniger als 10.000 Wohnungen.

Bis April 2021 hatte die Stadtgemeinde Mürzzuschlag mit rund 5.000 Wohnungen ebenfalls eine Schlichtungsstelle. Im Vergleich dazu verfügten die Gemeinden Dornbirn, Steyr, Villach, Wels und Wiener Neustadt über keine Schlichtungsstellen, obwohl dort rund 23.000 bis rund 39.000 Wohnungen je Gemeinde bestanden.

Flächendeckend und niederschwellig

Der Rechnungshof hält fest, dass weder das Justizministerium noch das Innenministerium bedarfsorientierte Analysen zu den Schlichtungsstellen anstellten. Ausnahme: Mit Kundmachung vom April 2021 wurde festgestellt, dass für Mürzzuschlag die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Schlichtungsstelle nicht mehr zutrafen. Eine Prüfung unterblieb in den übrigen Gemeinden.

Der Rechnungshof empfiehlt: Im Falle einer Neuordnung der Schlichtungsstellen sollte das Justizministerium eine österreichweit flächendeckende, niederschwellige Rechtsschutzeinrichtung in wohnrechtlichen Angelegenheiten mit einheitlichen Tarifen und beschränktem Kostenrisiko vorschlagen.

Kriterien zur Entlastung der Gerichte

Das Justizministerium hatte zur Zeit der Prüfung keine objektiven Kriterien erstellt, mithilfe derer eine Entlastung der Gerichte durch die Schlichtungsstellen einheitlich beurteilt werden konnte. Insbesondere war nicht definiert, ab welcher Anzahl an Verfahren die Einrichtung einer Schlichtungsstelle gerechtfertigt war.

Kriterien zur einheitlichen Beurteilung der gesetzlich geforderten Entlastung der Gerichte wären zu erarbeiten und Schwellenwerte – etwa zur Anzahl der Verfahren – wären zu definieren. So sollte geklärt werden, wann die Einrichtung einer Schlichtungsstelle in Gemeinden unter Berücksichtigung der damit verbundenen Kosten und des Bürgernutzens gerechtfertigt ist.

Geplanten Reformbestrebungen nachgehen

In drei Regierungsprogrammen der im überprüften Zeitraum amtierenden Bundesregierungen war ein transparentes, nachvollziehbares und rechtssicheres Wohn- und Mietrecht Gegenstand. Der Rechnungshof empfiehlt dem Justizministerium, eine Initiative zu der im Regierungsprogramm 2020–2024 vorgesehenen Wohnrechtsreform zu setzen und dabei auch die Komplexität wohnrechtlicher Bestimmungen kritisch zu hinterfragen. Zur Zeit der Prüfung hatte das Justizministerium noch keine Initiative zur Umsetzung des im Regierungsprogramm 2020–2024 enthaltenen Ziels einer Wohnrechtsreform gesetzt.

Gesetzliche Verfahrensdauer sicherstellen

Die Schlichtungsstellen hatten bis spätestens sechs Monate nach Antragstellung zu entscheiden. Der Rechnungshof ermittelte die Dauer der Verfahren sämtlicher in den Jahren 2015 bis 2020 beantragten und abgeschlossenen Fälle der Schlichtungsstellen der Städte Innsbruck und Salzburg: Die Schlichtungsstelle I. in Innsbruck überschritt bei zwei Drittel der Fälle die vorgesehene Verfahrensdauer von höchstens sechs Monaten. Bei der Schlichtungsstelle II in Innsbruck traf dies bei einem Fünftel zu. In der Schlichtungsstelle Salzburg wurde ein Drittel der Verfahren überschritten.

Es wird empfohlen, die gesetzlich vorgesehene Verfahrensdauer von maximal sechs Monaten tatsächlich bei allen Verfahren sicherzustellen.

Informationsangebot verbessern

Durch umfassende Informationen auf Websites von Schlichtungsstellen sollte der Zugang für rechtsuchende Bürgerinnen und Bürger erleichtert werden. Dadurch können zahlreiche Fragen im Vorfeld geklärt werden. Auch von den Städten Salzburg und Innsbruck wurden Websites zu den jeweiligen Schlichtungsstellen eingerichtet.

Der Rechnungshof hält fest, dass die Stadt Innsbruck Bürgerinnen und Bürgern vergleichsweise umfangreiche Informationen auf ihrer Website zur Verfügung stellte. Verbesserungsbedarf sieht er bei der Schlichtungsstelle der Stadt Salzburg. Außerdem bemängelt er, dass die Möglichkeiten zur Antragstellung über ein eigenes Online-Formular sowie zur selbstständigen elektronischen Berechnung des zulässigen Mietzinses nach dem Richtwert bei beiden Städten fehlten.


Presseinformation: Wohnrechtliche Schlichtungsstellen mit Schwerpunkt in Innsbruck und Salzburg


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98 Seiten

Bericht: Wohnrechtliche Schlichtungsstellen mit Schwerpunkt in Innsbruck und Salzburg

Der RH überprüfte von November 2020 bis Mai 2021 die wohnrechtlichen Schlichtungsstellen mit Schwerpunkt in den Städten Innsbruck und Salzburg. Ziel der Gebarungsüberprüfung war die Beurteilung der Aufgabenwahrnehmung der für wohnrechtliche Angelegenheiten zuständigen Schlichtungsstellen und der dafür eingesetzten Ressourcen. Die Gebarungsüberprüfung umfasste das Bundesministerium für Justiz sowie die Städte Innsbruck und Salzburg. Erhebungen führte der RH auch beim Bundesministerium für Inneres durch. Der überprüfte Zeitraum betraf die Jahre 2015 bis 2020.

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