Nachhaltige Finanzierung der Österreichischen Gesundheitskasse nicht gegeben – Verbesserungsbedarf bei ambulanter Versorgung
Die finanziellen Rahmenbedingungen der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) stehen im Spannungsfeld zum Ziel, die Leistung im ambulanten Bereich auszubauen. Bisher konnten weder die Versorgungsziele des Österreichischen Strukturplans Gesundheit (ÖSG) für die Versicherten eingehalten noch ausgeglichene Finanzen erreicht werden. Zu diesem Schluss kommen die Prüferinnen und Prüfer des Rechnungshofes in ihrem heute veröffentlichten Bericht „Ärztliche Versorgung im niedergelassenen Bereich 2018 bis 2023“. Der Rechnungshof hatte bereits im Jahr 2021 einen Bericht zur Ärztlichen Versorgung im niedergelassenen Bereich veröffentlicht. Darin hatte er unter anderem ein systematisches und flächendeckendes Wartezeiten-Monitoring empfohlen, umgesetzt wurde es jedoch nicht. Auch sonst zeigt er umfassenden Handlungsbedarf auf; so wenden ÖGK-Versicherte erhebliche private Mittel für Wahlärztinnen und Wahlärzte auf. Nach wie vor ausständig ist ein einheitlicher Gesamtvertrag zwischen ÖGK und Ärztekammer. Insgesamt sind wesentliche Änderungen nötig, um die ambulante Versorgung in Österreich nachhaltig als Sachleistungssystem aufrechtzuerhalten. Der überprüfte Zeitraum umfasste im Wesentlichen die Jahre 2018 bis 2023. Geprüft wurde bei der ÖGK, dem Dachverband der Sozialversicherungsträger und beim Gesundheitsministerium.
Verbesserungsmöglichkeit bei Versorgung im ambulanten Bereich
Österreichs Gesundheitssystem wurde im Zeitraum 2018 bis 2023 erneut teurer. Mit Gesundheitsausgaben in der Höhe von 4.663 Euro pro Person rangiert es im EU-Schnitt auf Platz zwei. Zugleich sank die Lebenserwartung: 2023 lag sie hierzulande nur mehr 0,1 Jahre über dem EU-Schnitt. Zum Vergleich: 2018 lag die Lebenserwartung noch 0,8 Jahre darüber. Auch die Entwicklung der vermeidbaren Sterblichkeit ist im internationalen Vergleich ungünstiger: 2021 verstarben in Österreich rund 92.000 Menschen; davon galten rund 20.000 Fälle als vermeidbar, etwa durch Prävention oder durch bessere Behandlung. Würde Österreich den Durchschnittswert der EU-Staaten mit ebenfalls hohem BIP erzielen, wären 2.600 weniger vermeidbare Sterbefälle aufgetreten.
In vergleichbaren EU-Staaten gelingt es zudem dank einer entsprechenden Versorgung im ambulanten Bereich öfter, Spitalsaufnahmen – etwa aufgrund von Diabetes oder Bluthochdruck – zu vermeiden.
Rückgang der besetzten Planstellen statt Stärkung des ambulanten Bereichs
Der Rechnungshof hält die bisherige Ausrichtung der österreichischen Gesundheitspolitik auf eine Stärkung des ambulanten Bereichs und der Primärversorgung für richtig. Er weist jedoch darauf hin, dass das gleichzeitig verfolgte Ziel einer finanziellen Konsolidierung der Krankenversicherungsträger dazu im Widerspruch steht.
Tatsächlich ging von 2019 bis 2023 die Zahl der besetzten Planstellen bezogen auf die Bevölkerung in der Allgemeinmedizin um 5,1 Prozent zurück. Bereits im Zeitraum 2009 bis 2019 war hier ein Rückgang von 10,2 Prozent zu verzeichnen. Daher empfiehlt der Rechnungshof, im Sinne der angestrebten Stärkung der Primärversorgung und unter Bedachtnahme auf die finanzielle Lage, dem Rückgang der besetzten Planstellen entgegenzuwirken.
Der Aufbau von Primärversorgungseinheiten gewann zwischen 2019 und 2023 an Dynamik, ihre Versorgungswirkung war 2023 jedoch mit 5,2 Prozent der Bevölkerung noch gering.
Und: Die Gesundheitsplanung gibt für Regionen und Fachgebiete eine Ärztedichte vor – in fast 50 Prozent der Fälle werden diese Vorgaben nicht eingehalten.
Aufgaben der Vertragsärztinnen und Vertragsärzte besser steuern
Der Rechnungshof gibt außerdem zu bedenken: Die Versorgungswirkung von Planstellen ist unterschiedlich. Ein Beispiel: 2022 hatte eine Allgemeinmedizinerin/ein Allgemeinmediziner nur 165 unterschiedliche Patientinnen und Patienten pro Quartal („Quartalserstpatienten“) in Behandlung, eine andere Allgemein- medizinerin/ ein anderer Allgemeinmediziner hatte hingegen über 31.000 Quartalserstpatientinnen und -patienten in Behandlung.
Der Rechnungshof verweist in diesem Zusammenhang auf den Anstieg der e-card-Konsultationen bezogen auf die Bevölkerung – er war im Zeitraum 2019 bis 2023 in der Allgemeinmedizin mit 9,2 Prozent erheblich. Die Ursachen für diese Entwicklung sind unklar.
Bereits 2021 hatte der Rechnungshof empfohlen, Versorgungsaufträge zu definieren – etwa Vorgaben oder Vereinbarungen über die Anzahl der zu behandelnden Personen – und dabei auch deren quantitativen Umfang zu beschreiben. Jedoch: Entsprechende Vereinbarungen mit den Ärztekammern seien laut ÖGK nicht möglich gewesen. Der Rechnungshof empfiehlt, die Steuerung der Versorgungswirkung einer Planstelle zu verbessern, zum Beispiel durch Vereinbarungen über die tatsächlichen Öffnungszeiten, durch quantitative Versorgungsaufträge und durch genauere Vorgaben für Anstellungen und Vertretungen.
Steigender Anteil der wahlärztlichen Versorgung als Risko für solidarische Versorgung
Im Unterschied zu anderen Versicherungsträgern ist bei der ÖGK für ärztliche Hilfe keine Kostenbeteiligung der Versicherten vorgesehen. Diese wendeten jedoch bereits erhebliche private Mittel auf. Im Jahr 2020 wurden bei der ÖGK Wahlarzt-Rechnungen in der Höhe von 369,04 Millionen Euro eingereicht; 2023 war der Betrag auf 551,45 Millionen Euro gestiegen. Erstattet wurden im Jahr 2023 208,85 Millionen Euro.
Der Rechnungshof empfiehlt, insbesondere in den Bereichen Dermatologie, Frauenheilkunde und Psychiatrie auf eine ausreichende Sachleistungsversorgung zu achten, denn hier war der Anteil der wahlärztlichen Versorgung vergleichsweise besonders hoch.
Die Höhe der eingereichten Honorarnoten für den Wahlarztbereich entsprach 16 Prozent der Aufwendungen für den niedergelassenen Bereich. Aus Sicht des Rechnungshofes besteht ohne Gegenmaßnahmen das Risiko, dass der Wahlarztbereich weiter steigt und Lücken in der Sachleistungsversorgung entstehen könnten. Er hält es nicht für zweckmäßig, Selbstbehalte mit Verweis auf soziale Überlegungen zu vermeiden, aber gleichzeitig das Entstehen von Lücken in der Sachleistungsversorgung in Kauf zu nehmen. Stattdessen wären private Zahlungen von Patientinnen und Patienten in das Versorgungssystem nach finanziellen, administrativen, versorgungspolitischen und sozialen Kriterien optimal zu gestalten.
Einheitlicher Gesamtvertrag vor allem im Sinne der Patientenversorgung wichtig
Bei seiner umfassenden Analyse des Leistungsgeschehens in der ärztlichen Hilfe hat der Rechnungshof große Unterschiede festgestellt. Aber ein medizinischer Grund für die unterschiedliche Häufigkeit der Leistungserbringung beispielsweise in Wien und in Niederösterreich war etwa im Bereich Manualtherapie nicht ersichtlich. Auch vor diesem Hintergrund mahnt der Rechnungshof einmal mehr den Abschluss eines modernen, bundeseinheitlichen Gesamtvertrages zwischen ÖGK und der Österreichischen Ärztekammer ein. Ein solcher wurde seit 2019 nicht erreicht. Dieser wäre jedoch im Sinne der Leistungsgerechtigkeit, Systemakzeptanz und Steuerung wichtig. Dass bestimmte Leistungen beim selben Versicherungsträger bei gleichen Beiträgen nur in einzelnen Ländern verfügbar sind, ist nicht plausibel.
Die gesetzlichen Rahmenbedingungen erschweren eine Verhandlungslösung, weil die Zustimmung nicht nur der Österreichischen Ärztekammer, sondern jeder Landesärztekammer notwendig ist. Der Rechnungshof empfiehlt daher dem Ministerium, eine Regierungsvorlage zur Änderung der Rahmenbedingungen für den gesetzlich vorgesehenen einheitlichen Gesamtvertrag vorzubereiten, etwa mit einem Entfall der Zustimmung der einzelnen Landesärztekammern.
Wartezeiten und Terminmanagement umsetzen
Ebenfalls ausständig war ein österreichweites Wartezeiten-Monitoring. Wartezeiten auf Arzttermine sind eine wesentliche Kennzahl, um die Sachleistungsversorgung beurteilen zu können. Das Wartezeiten-Monitoring und Terminmanagement soll zeitnah und flächendeckend eingeführt werden. Die gute Nachricht: Mit Zeithorizont Ende 2026 sind ein Terminmanagement und ein System zur Erfassung von Öffnungszeiten als Ziel vereinbart.
Nachhaltige Finanzierung der ÖGK sicherstellen
Der Rechnungshof weist kritisch darauf hin, dass sich die finanzielle Lage der ÖGK im Zeitraum 2018 bis 2023 deutlich verschlechtert hat und die ÖGK bis 2029 eine weitere drastische Verschlechterung erwartete. Die zentrale Ursache dafür war, dass die Aufwendungen für ärztliche Hilfe und gleichgestellte Leistungen stärker stiegen als die Erträge. Die Inanspruchnahme ärztlicher Ressourcen und die Leistungsdichte änderte sich von 2019 bis 2023 deutlich.
Der Rechnungshof ist der Ansicht, dass die Wiederherstellung der finanziell nachhaltigen Gebarung der ÖGK zunächst in der Verantwortung der ÖGK liegt. Er empfiehlt dem Ministerium, dem Dachverband und der ÖGK, eine nachhaltige Finanzierung der ÖGK sicherzustellen. Dabei wären nach Ausschöpfung der versorgungspolitisch sinnvollen Effizienzpotenziale bei der ÖGK Maßnahmen zu entwickeln, die die Verflechtungen der Gebarung der ÖGK mit der Gebarung des Bundes, der Länder und der übrigen Sozialversicherungsträger, alle Finanzierungsmöglichkeiten und die versorgungs- und strukturpolitischen Ziele berücksichtigen.
Laut Austria Presse Agentur erwartet die ÖGK in ihrer Gebarungsvorschau vom November 2025 für das Jahr 2025 einen Bilanzverlust in der Höhe von 546,6 Millionen. Trotz der gesetzten Schritte (Budgetsanierungskonzept, Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge für die Pensionistinnen und Pensionisten) ist die finanzielle Konsolidierung der ÖGK nicht sichergestellt.
Transformation im Gesundheitssystem nicht ausreichend gelungen
Angesichts der Herausforderungen in Versorgung und Finanzierung ist die zeitnahe Neuregelung der Zahlungsströme für den spitalsambulanten und niedergelassenen Bereich nach dem Prinzip „Geld folgt Leistung“ unabdingbar. Damit sollen die verfügbaren Finanzressourcen optimiert und unzweckmäßige Leistungsverschiebungen vermieden werden.
Presseinformation: Ärztliche Versorgung im niedergelassenen Bereich 2018 bis 2023 (pdf)
- pdf Datei:
- 6,394.6 KB
- Umfang:
- 144 Seiten
Bericht: Ärztliche Versorgung im niedergelassenen Bereich 2018 bis 2023
Der Rechnungshof überprüfte von September 2024 bis Februar 2025 die ärztliche Versorgung im niedergelassenen Bereich bei der Österreichischen Gesundheitskasse, dem Dachverband der Sozialversicherungsträger und dem Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. Ziel der Gebarungsüberprüfung war, die Entwicklung der Versorgungsstruktur, des Aufwands und des Leistungsgeschehens der ärztlichen Versorgung im niedergelassenen Bereich zu analysieren sowie die Zweckmäßigkeit der diesbezüglichen Steuerungsmaßnahmen zu beurteilen. Der überprüfte Zeitraum umfasst die Jahre 2018 bis 2023.