Fachkräftemangel erfordert Zusammenarbeit in vielen Politikbereichen

12. April 2024 – Eine Gesamtstrategie fehlt

19,6 Prozent Arbeitslosenquote bei Pflichtschulabsolventen - Copyright: Foto: iStock/A stockphoto

Der Fachkräftemangel beeinträchtigt die gesamtwirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft und ist mit volkswirtschaftlichen Kosten verbunden. Durch das Ausscheiden der Generation der „Baby-Boomer“ aus dem Berufsleben wird er sich mittel- und längerfristig verschärfen. In seinem heute veröffentlichten Bericht „Bestandsaufnahme Fachkräftemangel“ zeigt der Rechnungshof Ansatzpunkte auf, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Diese sind: Aus- und Weiterbildung, Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von älteren Personen, Frauen sowie von Migrantinnen und Migranten, arbeitsmarktpolitische Maßnahmen aber auch die Einwanderung von qualifizierten Arbeitskräften. Die Prüferinnen und Prüfer des Rechnungshofes empfehlen eine solidere Datenbasis, aber auch eine Gesamtstrategie zur Abmilderung des Fachkräftemangels. Analysiert wurde die Situation am österreichischen Arbeitsmarkt von 2008 bis Mitte 2023. Insgesamt resultiert der Fachkräftemangel aus vielschichtigen, miteinander verflochtenen Ursachen und Einflussfaktoren.

Strategie und Datengrundlage

Das Regierungsprogramm 2020-2024 enthält ein Bekenntnis zur Sicherstellung des Arbeits- und Fachkräftebedarfs und zur Erstellung einer Gesamtstrategie. Zwar gab es sowohl seitens der Bundesministerien als auch der Länder Initiativen und strategische Erwägungen, eine Gesamtstrategie mit aufeinander abgestimmten Maßnahmen fehlt jedoch nach wie vor.

In Österreich bestehen Instrumente zur Abschätzung des Fachkräftemangels. Allerdings fehlen Daten für eine Analyse auf Ebene der Berufe, der regionalen Verteilung und des Beschäftigungsausmaßes. Für eine genauere Analyse wäre eine systematische Erfassung von Beruf und Beschäftigungsausmaß einzurichten.

Qualifikation entscheidend für Beschäftigungschancen

Das Schul- und Ausbildungssystem ist das Fundament des Bildungsniveaus und des Kompetenzaufbaus für zukünftige Arbeitskräfte. Die Arbeitsmarktdaten machen deutlich: Ein mittleres und hohes Qualifikationsniveau wirkt sich positiv auf die Beschäftigungschancen und das Erwerbseinkommen aus und es verringert das Arbeitslosigkeitsrisiko. In Österreich hatten 2021 rund 17 Prozent der 25- bis 64-Jährigen maximal einen Pflichtschulabschluss. In dieser Gruppe lag die Arbeitslosenquote im Jahr 2022 bei 19,4 Prozent. Maßnahmen zur Begrenzung und Verringerung des Anteils von Personen mit maximal Pflichtschulabschluss wären zweckmäßig.

Der Rechnungshof betont außerdem, dass laut PISA-Ergebnissen ein nicht zu vernachlässigender Anteil der Schülerinnen und Schüler über keine ausreichenden Basiskenntnisse in Lesen und Mathematik verfügt. Zur Prävention wäre es wichtig, einen Bildungsfokus auf Schülerinnen und Schüler zu setzen, bei denen ein Risiko besteht, dass sie elementare Kompetenzen nicht erreichen.

Arbeitskräftepotenzial ausschöpfen und mobilisieren

2022 standen fast drei Viertel der 15- bis 64-jährigen österreichischen Bevölkerung in Beschäftigung – unselbstständig und selbstständig. Die Beschäftigungsquote 2022 lag um fast sechs Prozentpunkte über jener von 2008. Die Anzahl der unselbstständig Beschäftigten war mit 3,91 Millionen auf einem historischen Höchststand. Von ihnen wurden im Jahr 2022 insgesamt 5,8 Milliarden Arbeitsstunden geleistet. Trotz einer höheren Anzahl von Beschäftigten blieb das Ausmaß der geleisteten Arbeitsstunden seit 2008 weitgehend konstant. Dies steht im Zusammenhang mit der Erhöhung der Teilzeitquote: 2022 arbeiteten in Österreich 31,2 Prozent der Beschäftigten in Teilzeit. Gestiegen sind auch die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse von 2008 bis 2022 um 23 Prozent.

Über die Hälfte der unselbstständig beschäftigten Frauen arbeitet in Teilzeit

Die Beschäftigungsquote der Frauen erhöhte sich in den letzten Jahrzehnten deutlich. Sie lag allerdings 2022 immer noch elf Prozentpunkte unter jener von Männern bei einer gleichzeitig hohen Teilzeitquote von 51,7 Prozent. Die Teilzeitquote von Männern lag bei 11,9 Prozent. Das Angebot wie auch die Qualität der Kinderbetreuung (Öffnungszeiten, Betreuungsverhältnis, Kosten) sind ein wichtiger Ansatzpunkt zur Erhöhung der Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt. Eine Rolle spielen aber auch steuer- und beihilfenrechtliche Rahmenbedingungen wie auch die Ausgestaltung von Sozialleistungen.

Der Rechnungshof empfiehlt, die arbeitsrechtlichen, steuerrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen im Hinblick auf Anreize zu geringen beziehungsweise sehr geringen Arbeitsstundenausmaßen zu analysieren.

Verbleib von älteren Erwerbstätigen im Arbeitsprozess

Eine höhere Erwerbsbeteiligung von älteren Personen ist geeignet, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und gleichzeitig das Pensionssystem zu entlasten. Allerdings: Der gesetzliche Rahmen setzt weiterhin Anreize zum vorzeitigen Ausstieg aus dem Erwerbsprozess. Während die Beschäftigungsquote der 15- bis 64-Jährigen im Jahr 2022 bei 73,1 Prozent lag, lag jene der 60- bis 64-Jährigen nur mehr bei 30,5 Prozent.

Integration von Migrantinnen und Migranten in den Arbeitsmarkt

Der Rechnungshof hält fest, dass das Arbeitskräftepotenzial von in Österreich lebenden ausländischen Staatsangehörigen teilweise nicht ausgeschöpft und die Integration von Migrantinnen und Migranten bestimmter Herkunftsländer in den Arbeitsmarkt gering ist. So lag die Beschäftigungsquote von Staatsangehörigen aus Afghanistan, dem Irak und Syrien unter 45 Prozent.

Qualifizierte Zuwanderung

Die Anwerbung qualifizierter Arbeitskräfte aus Drittstaaten ist grundsätzlich dazu geeignet, den Fachkräftemangel zu mildern. Die Rot-Weiß-Rot-Karte und Blaue Karte EU sind wichtige Instrumente zur kriterienorientierten Zuwanderung. Dazu veröffentlichte der Rechnungshof am 05. April 2024 einen gesonderten Bericht („Rot-Weiß-Rot-Karte und Blaue Karte EU“).

Problem des Fachkräftemangels wird sich verschärfen

Die Anzahl der gemeldeten offenen Stellen beim AMS vervierfachte sich von 2015 bis 2022 auf 125.503. Korrespondierend dazu kamen im Jahr 2022 rund zwei Arbeitslose auf eine offene Stelle, wobei es starke regionale Unterschiede gab: In Oberösterreich und Salzburg kam im Jahr 2022 auf eine offene Stelle im Schnitt weniger als eine beim AMS arbeitslos gemeldete Person. In Wien entfielen im Durchschnitt sechsmal so viele Personen auf eine offene Stelle.

Die Zahl der Arbeitslosen war 2022 mit 263.121 Personen vergleichsweise niedrig. Seit Mitte 2023 ist ein Anstieg der Arbeitslosenquote gegenüber den Vorjahreswerten sichtbar. Die Zahl der Arbeitslosen lag im März 2024 bei 291.468.

Durch das Ausscheiden der Generation der „Baby-Boomer“ aus dem Berufsleben wird die Verfügbarkeit von Arbeitskräften in Österreich, wie auch in der EU insgesamt, in den nächsten zehn Jahren tendenziell abnehmen. Mittel- und längerfristig ist von einer Verschärfung des Problems des Fachkräftemangels auszugehen.

Presseinformation: Bestandsaufnahme Fachkräftemangel

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Umfang: 
96 Seiten

Bericht: Bestandsaufnahme Fachkräftemangel

Der Rechnungshof setzte sich von Jänner bis Juli 2023 mit dem Fachkräftemangel in Österreich, seinen Gründen und möglichen Ansatzpunkten zur Abmilderung auseinander. Ziel der Prüfung war es, einen Überblick über die Herausforderungen im Bereich des Fachkräftebedarfs zu geben. Die Analyse umfasste die Situation am österreichischen Arbeitsmarkt von 2008 bis Mitte 2023 mit dem Fokus auf den Entwicklungen und Maßnahmen der Jahre 2020 bis Mitte 2023.

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